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System Shock 2

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Klassiker und Prachtstück zugleich

Vorwort

Ob sich Ken Levine am 11. August 1999 bereits bewusst war, was für eine Welle System Shock 2 nach rund 15 Jahren noch schlagen würde? Ich mag es bezweifeln, aber auf jeden Fall hatte er zumindest die Zutaten für ein Spiel, das heute noch viele Fans begeistert. Ein einsamer Soldat in einem Raumschiff, offenes Leveldesign, seltsame Wesen und eine größenwahnsinnige KI in der Hauptrolle versprechen interessante Stunden. Warum System Shock 2 die heutigen AAA-Titel lediglich als „Gruß aus der Küche“ (Amuse-Gueule) vorführt, erkläre ich euch im Folgenden.

Story und Hintergrund

Die Geschichte lässt sich bereits auf ein DIN A6 Blatt zusammenfassen: Wir befinden uns im Jahr 2114, also 42 Jahren nach den Ereignissen des Vorgängers auf einem Raumschiff namens Von Braun. Fünf Monate nach Abreise des Schiffs vom Planeten Erde steht die Mannschaft vor einem Bürgerkrieg zwischen den Soldaten der UNN Rickenbacker und der Besatzung der Von Braun, einem Raumkreuzer, der dem Hauptschiff anliegt. Kurz vor der Eskalation empfangen die Schiffe ein Signal von der Oberfläche des Planeten Tau Ceti 5. Eine Erkundungsmission endet jedoch damit, dass die Truppe von wurmartigen Wesen (Anneliden) psychisch vereinnahmt wird. Der Spieler wacht später als Soldat der UNN aus einem kryogenen Schlaf auf und ist mit kybernetischen Implantaten ausgerüstet. Die fremdartigen Wesen, die sich im Spiel kurz „Die Masse“ nennen, haben die Vorherrschaft des Schiffes an sich gerissen und die Besatzung assimiliert.

Mit diesem Informations-Overkill wirft System Shock 2 den Spieler in eine, ihm noch völlig fremde, Umgebung und sorgt für stetigen, ja leicht unangenehmen Druck. Über eine Funkmeldung sollen wir zudem noch zur Hilfe einer Wissenschaftlerin herbei eilen, aber natürlich lässt sich die Madame nicht so ohne weiteres besuchen. Davor müssen viele Hindernisse und unerwartete Wendungen und Aha-Momente überwunden werden. Viele Elemente im Spiel, wie auch das Bild der hilfebedürftigen Frau, lösen sich später jedoch in Schall und Rauch auf. Das Spiel benutzt den Spieler als Marionette und kehrt den Spieß um. Das Spiel spielt mit Euch. Ständig ist man alleine auf dem Nebenschauplatz neben der Gesellschaft, in dem sich gegenwärtige Ideen und Strömungen zu Extremen entwickelt haben. System Shock 2 bleibt auch nach knapp 15 Jahren vielschichtig individuell, zumal die Themen im Spiel auch heute nicht an Aktualität eingebüßt haben. Die Story wird bis zum mitreißenden Finale praktisch ohne animierte Zwischensequenzen auf Händen getragen und furios erzählt. Die wichtigen Informationen bekommt der Spieler dabei als vertonte Funkmeldungen in einem PDA angezeigt, die nebenbei erwähnt mit ausgezeichneten deutschen Synchronsprechern einen Mammutanteil an der Atmosphäre einnehmen.

Gameplay und Technik

Das Gameplay ist eine Mischung aus einem First-Person-Shooter und einigen spannenden RPG-Elementen. Wir können zwar am Anfang unserem Charakter eine von drei möglichen Ausrichtungen, ich verzichte bewusst auf „Klasse“, mitgeben (Marines, Navy und OSA Agent), das Spiel bietet aber während dem Verlauf genug Möglichkeiten, den Protagonisten an verschiedenen Upgrade-Stationen dem eigenen Spielstil zu verpassen. So verteilen wir in vier unterschiedlichen Bereichen unsere gesammelten Cyber-Module: Hauptattribute, PSI-Fähigkeiten, Waffen- und Kampffähigkeiten und den Tech-Skills. Nützlich sind diese Upgrades durchaus, weil die Level regelmäßig neu bevölkert werden, selbst wenn der Spieler sie nicht verlässt. Die Gegner agieren dabei stets aggressiv und überaus zielsicher, lediglich um Ecken kann nicht jeder Typ navigieren. Dennoch wird aus diesem Grund ein Gefühl latenter Bedrohung sichergestellt, gerade weil Munition für die schnell verschleißenden Schusswaffen knapp ist und an seltenen Verkaufsautomaten hohe Summen kostet – sofern dort denn das richtige Kaliber oder der richtige Munitionstyp verfügbar ist. So zwingt das Spiel durch das zwingend aufkommende schwäbische Sparverhalten früher oder später unseren Charakter in den risikoreichen Nahkampf.

Eine Besonderheit muss aber bei System Shock 2 ganz deutlich erwähnt werden. In heutigen Spielen verdummen die Spieler vor dem Bildschirm, da ihnen die meiste Denkarbeit durch aufblinkende Quest-Tracker oder Markierungen auf der Minimap hochgradig abgenommen wird – eine traurige Entwicklung, scheint aber dem Konsens des Spielertyps zu entsprechen. Bei System Shock 2 reicht es eben nicht mehr aus, wie bei World of Wacraft oder Konsorten den Questlog völlig zu ignorieren und blind Punkten zu folgen. Hier wird man relativ schnell den Faden verlieren und völlig orientierungslos durch die Karten laufen. In der aktuellen Spielesituation kann man diese Eigenschaft durchaus als „besonders“ hervorheben, weil damit auch die Story im Spiel viel besser an den Spieler transferiert wird. Ständig beschleicht einem das Gefühl, zu 100% in die Geschichte mit involviert zu sein. Der Spieler bekommt einen simplen Eintrag in den Log und muss anschließend die teils wirklich knackigen Aufgaben, die sich durch mehrere „Decks“ verteilen, völlig autark bewältigen. Auch die einfache Eingabe von Schlüsselcodes unterstützt die Immersion des Spielers und die Tiefe des Spielerlebnisses, weil manuell auf den Konsolen direkt im Spiel getippt wird. Immer wieder kommen zudem nette Ideen zum Vorschein: Die Suche nach einem dringend nötigen Elektronikmodul erfordert das Suchen eines Lagerraumes und anschließend die Identifizierung des gewünschten Bauteils aus den Beständen ähnlicher Komponenten – eben so, wie man es auch „in echt“ machen müsste.

Die Forschungskomponente im Spiel vertieft das gesamte Spielgefühl, denn das in Echtzeit ablaufende Untersuchen von Alien-Technologie und Überresten mit Hilfe von Chemikalien, die es logischerweise erst zu besorgen gilt, gibt stimmig Boni respektive neue Waffen und verrät Hintergrundinformationen. Besonders steil wird die Lernkurve trotz der zahlreichen Optionen und Features jedoch nicht, wenngleich eine Einarbeitungszeit erforderlich ist. Die meisten Features führt das Spiel in kleinem Rahmen einmal vor, zudem hilft das sehr übersichtliche, per Tastendruck aufrufbare Interface. In diesem Modus kann über die Maus komfortabel jeglicher Aspekt vom Inventar bis hin zum Forschen und des für die Waffe verwendeten Munitionstyps verwaltet werden, dessen ohnehin arg begrenzte Größe (natürlich) von den Charakterwerten abhängt – das Spiel wartet an jeder Ecke mit ausbalancierten, interessanten Entscheidungsmöglichkeiten auf.

System Shock 2 spielt sich am Anfang sehr ungewohnt und schleppend, entwickelt aber dank der bemerkenswerten Antagonisten nach dem ersten Drittel schnell einen unwiderstehlichen Charme. Negativ macht sich hier und da allerdings die auf DirectX 6 basierende Engine bemerkbar. Explosionen wirken eher statisch, komplexere Animationen hakelig und auch die Klonkleider der Opponenten stören zunächst. Das Alter des Unterbaus fällt jedoch nur während der Initialphase ins Gewicht und rückt nach der Entflammung der wahren Stärke im Spiel zunehmend in den Hintergrund: Horror spielt sich am besten in der eigenen Psyche ab, wozu es ein furioses Grafik-Feuerwerk nicht zwingend benötigt. Ohne Taschenlampe und Kompass einsame Gänge entlang zu schleichen, düsteren Geschehnissen und dem jüngst vergangenen Drama auf der Spur. Das hat immer noch eine Sogwirkung die Seinesgleichen sucht. Die durch abwechslungsreiche, nie aufgesetzt wirkende Aufgaben stets angenehm aufgelockerten Gefechte laufen trotz der RPG-Elemente schneller als von modernen Shootern gewohnt ab. Zwar gibt es ein rudimentäres Deckungssystem, welches das Neigen um Ecken erlaubt, ratsam ist es wie bei allen Shootern älterer Jahrgänge dennoch stets in Bewegung zu bleiben und sich auf Reflexe zu verlassen.

Fazit

Wie bereits sein Vorgänger ist auch System Shock 2 eine harte Belastungsprobe für die Nerven im Jahre 2014. Wenn man schon vor einem harmlosen Fliegenschwarm panisch den Rückwärtsgang einlegt, zeugt das von einer atemberaubenden Atmosphäre. Der Schwierigkeitsgrad des Spiels ist dabei angenehm hoch. Der ständige Druck, keine ruhige Minute allein in einem Raum zu sein gepaart mit der Freiheit, nicht durch Schlauchlevels zu gehen und die erstklassigen RPG-Elemente lassen heute noch Genrevertreter kalten Schauder über den Rücken laufen, wenn der Begriff System Shock 2 fällt.

Für diejenigen, die Half Life schon immer unerreichbar fanden und auch in der heutigen Zeit, neben dem geistigen Dünnpfiff der AAA-Titel, die eine Fassade an Anspruch aufzulegen versuchen, einen anspruchsvollen und fordernden Titel suchen, ist System Shock 2 eines der besten Vertreter.

Wohlverdiente 95 Punkte für den Klassiker!

Im ersten Drittel sinkt die Motivation leicht, da die Einarbeitungsphase Zeit in Anspruch nimmt. In der Mitte haben wir die Badewannencharakteristik. Hier sind die Aufgaben teils über mehrere Decks im Raumschiff verteilt. Es besteht also Gefahr der Orientierungslosigkeit. Mein Tipp an dieser Stelle: Besorgt euch Stift und Papier und macht euch wichtige Notizen. Wie in der Schule und der Uni 🙂

Nach dem Tief haben wir jedoch unseren Charakter schon weiter entwickelt und sind eins mit dem Spiel. Die Kämpfe bleiben weiterhin spannend, wir wissen aber welche Skills wann und wie benutzt werden müssen, um die Oberhand zu gewinnen. Sobald das Ende greifbar nah scheint, gibt es bei der Motivation nochmal einen ordentlichen Schub, da wir unserem größten Widersacher immer dichter auf den Fersen sind.

Wertung: 95 /100 Punkten

PRO & CONTRA

  • stimmungsvolle Lichteffekte
  • Sound erzeugt nervenzerreißende Spannung
  • gut gestaltete Level
  • sinnvolle Gegneranzahl
  • knackige, teils schwere Rätsel mit Storyzusammenhang
  • sehr gutes Charakterentwicklungssystem
  • keine Questtracker
  • gute Einbindung des Spielers in die Story
  • Spieldauer ca. 25h
  • schlichte Grafik

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